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18 März 2021 | Oberflächen POLYSURFACES 03/2020 | Industrielackieren

Die industrielle Lackiertechnik an neue Anforderungen anpassen

Doris Schulz

Geht es um die wesentlichen Trends in der industriellen Lackiertechnik, stehen automatisierte und digitalisierte Prozesse sowie Lösungen für eine effiziente Produktindividualisierung ganz oben. Neue Entwicklungen in diesen Bereichen ermöglichen es, die steigenden Anforderungen an Qualität, Material- und Energieeffizienz sowie Flexibilität effektiv zu erfüllen und einem wachsenden Kostendruck zu begegnen.

Lackiertechnik

Die automatisierte Lackierung mit Robotern zählt zu den wesentlichen Trends in der industriellen Lackiertechnik. (Bild: Gema/Metallbau Ferk)

Die Oberfläche eines Produkts ist häufig ein wesentliches Kriterium für dessen Erfolg und damit entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Inhouse-lackierende Firmen stehen in diesem Bereich ebenso wie Lohnbeschichter vor veränderten und neuen Anforderungen. Ein substanzieller Trend dabei ist die Automatisierung und Digitalisierung der Lackierung. Dabei geht es einerseits darum, qualitativ stabilere Prozesse sicherzustellen, geringere Verbräuche zu realisieren sowie der anhaltenden Nachfrage nach stärker individualisierten Produkten und daraus resultierenden kleineren Losgrössen bis zur Stückzahl 1 gerecht zu werden. Andererseits spielen eine höhere Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit sowie der weltweit zu beobachtende Fachkräftemangel eine Rolle.

Automatisierung der Lackierprozesse

In der Automobilindustrie und verschiedenen anderen Industriebereichen ist die automatisierte Lackierung mit Robotern seit einiger Zeit Stand der Technik. In vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen besteht jedoch inzwischen auch der Bedarf, die Lackierung durch den Einsatz von Robotern zu automatisieren und dadurch die Fehlerquote zu senken. Nicht selten sollen auch bisher eingesetzte Einachsen- und Zweiachsen-Hubgeräte ersetzt werden. Das Ziel dabei ist, die hohe Qualität und Reproduzierbarkeit der Roboterlackierung mit einer flexiblen und kostengünstigen Lösung zu verbinden. Dieser Wunsch ist auch in der Pulverbeschichtung vermehrt vorhanden. Die Lackiertechnik- und Roboterhersteller beantworten diesen Bedarf mit speziell für die Beschichtungsindustrie konzipierten Mehrachsenrobotern sowie so genannten Roboterlackierzellen. Die erforderliche Applikationstechnik für den Auftrag von lösemittel- oder wasserbasierten Ein- und Mehrkomponentenlacken wird dabei an das jeweilige Kundenprojekt angepasst. Dabei ermöglichen neue Pistolensteuerungen eine sehr präzise Applikation. Auf sämtliche Lackierparameter kann einfach zugegriffen und diese hochgenau eingestellt werden. Daraus resultieren eine hohe Wiederholgenauigkeit sowie konstante Lackierergebnisse. Ein weiteres Plus der neuen Pistolensteuerung ist die Möglichkeit des Datenaustausches mit übergeordneten Steuerungssystemen.

Für die Programmierung der Bewegungsabläufe des Roboters sind zahlreiche Programme verfügbar, die ein manuelles Teachen ermöglichen. Eine effizientere Alternative zum klassischen Teachen stellt die Offline-Programmierung dar. Die entsprechenden Softwaretools ermöglichen die Programmerstellung von Bewegungsablauf und Sprühbahnen für jedes zu lackierende Bauteil am PC-Arbeitsplatz, teilweise kann vor dem Überspielen des Programms auch noch eine Simulation durchgeführt werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass auf den Lackierfachmann komplett verzichtet werden kann, um den Lackierprozess optimal zu gestalten.

Die Automatisierung beschränkt sich jedoch nicht alleine auf Bewegungsabläufe und Lackapplikation. Weitere Themen sind dabei die Farbaufbereitung, der Farbtransport, die Dosierung und der Farbwechsel. Auch hier stehen neue Entwicklungen für automatisierte Prozesse zur Verfügung, die zu einer Optimierung der Qualität und Ressourceneffizienz beitragen.

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Kompakte Lackierzellen mit speziell für die Beschichtungstechnik abgestimmten Robotern ermöglichen den kostengünstigen Einstieg in die roboterbasierte Lackierung. (Bild: Reiter Oberflächentechnik)

Prozessüberwachung und -kontrolle sowie Dokumentation

Die Einbindung von Systemen für die automatisierte Überwachung von Prozessparametern wie beispielsweise Lackmenge, Temperatur, Prozesslüfte bis zur Sprühstrahlüberwachung sowie die Protokollierung und Auswertung dieser Daten sind weitere Aufgabenstellungen, die bei inhouse-lackierenden Unternehmen und Lohnbeschichtern zunehmend an Bedeutung gewinnen. Auch hier stehen neue Lösungen zur Verfügung, die eine Anbindung an MES-Systeme der Anlagenbetreiber ermöglichen.

Ebenso lassen sich Lösungen für die Qualitätskontrolle der beschichteten Oberfläche in den Prozess integrieren. Die kann beispielsweise mit der Tetrahertz-Technik erfolgen. Damit lassen sich Schichtdickenmessungen zerstörungsfrei und berührungslos auf nassen und gehärteten Lackschichten durchführen. Die Tetrahertz-Strahlung ist dabei in der Lage, Mehrschichtaufbauten zu betrachten und Werte für die einzelnen Schichtdicken auszugeben. Die Deflektometrie macht Lackierfehler wie Krater, Kocher, Agglomerate und Schmutzeinschlüsse auf der beschichteten Oberfläche berührungslos sichtbar. Beide Messverfahren können inline eingesetzt werden. Dies eröffnet bei einer Abweichung die Möglichkeit, erforderliche Reparaturen umgehend zu beseitigen. Es laufen dazu verschiedene Projekte, um für die Beseitigung der Fehler automatisierte Schleifprozess mit Robotern einzusetzen. Der Manipulator weiss dabei aufgrund der erfassten und ausgewerteten Daten genau, an welchen Stellen geschliffen werden muss.

Noch ein wenig Zukunftsmusik ist, dass auf Basis der erfassten und ausgewerteten Prozess- und Qualitätsdaten mit entsprechenden Algorithmen ein so genanntes Machine-Learning erfolgen kann, Prozesse also adaptiv angepasst werden.

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Die selbstprogrammierende Roboterlackierzelle «Selfpaint» erlaubt es, kleinste Chargen und Einzelteile vollautomatisch und kostengünstig zu lackieren. (Bild: Fraunhofer IPA)

«Intelligente» Lackierzelle für Losgrösse 1

Im Rahmen eines abgeschlossenen Forschungsprojekts wurde die selbstprogrammierende Roboterlackierzelle «Selfpaint» entwickelt. Sie erlaubt es, kleinste Chargen und Einzelteile vollautomatisch und kostengünstig zu lackieren. Auf Basis dreidimensionaler Modelle und Simulationen werden dabei nicht nur die zu lackierenden Bauteilbereiche für den Roboter berechnet, sondern auch, worauf er zu achten und wie er lackieren soll. Nach dem Beschichtungsprozess erfolgt eine robotergeführte Qualitätsprüfung mit einem Tetrahertz-Messsystem, bei der die Schichtdicke des aufgetragenen Lacks gemessen wird. Im Vergleich zur bisher bei diesen Anwendungen dominierenden Handlackierung ermöglicht die «intelligente» Roboterlackierzelle Einsparungen von 20% beim Lack und 15% beim Energieeinsatz sowie eine um 5% geringere Produktionszeit. Der modulare Aufbau ermöglicht einen Einsatz der entwickelten Software und Technologien über die selbstprogrammierende Lackierzelle hinaus und lässt sich auch in bestehende Lackieranlagen integrieren.

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Eine neue Entwicklung erlaubt die oversprayfreie Lackierung, mit der eine einfache Mehrfarbenlackierung ohne Maskierungsaufwand und Zwischentrocknung durchgeführt werden kann. (Bild: Dürr)

Reduzierung von Overspray

Neben der Automatisierung ist die Verringerung von Overspray ein zweiter grosser Trend in der industriellen Lackiertechnik. Eine effektive Möglichkeit dafür stellt der Einsatz elektrostatischer Applikationssysteme dar. Noch einen Schritt weiter geht es mit der oversprayfreien Lackierung, für die inzwischen eine entsprechende Lösung zur Verfügung steht und die bereits im Serieneinsatz genutzt wird. Neben einer vergleichsweise einfachen Mehrfarbenlackierung ohne Maskierungsaufwand und Zwischentrocknung ermöglicht diese Technik, Lackierkabinen einfacher und energieeffizienter zu gestalten.

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Mit neuen Elektrostatik-Spritzpistolen lässt sich der Auftragswirkungsgrad in der manuellen und automatisierten Nassapplikation deutlich erhöhen. (Bild: Wagner Group)