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31 Dezember 2019 | Oberflächen POLYSURFACES 04/2019 | Dünnschichttechnik

PVD-Beschichtungen für medizinische Instrumente

Konrad Saal

Ursprünglich ging es beim Beschichten nur darum, dass das Operationsbesteck schön aussieht und während der Operation leichter zu unterscheiden war. Titannitrid mit seiner leicht erkennbaren Goldfarbe wurde dabei schnell zur ersten Wahl. Doch mittlerweile geht das Bestreben der OEM über den rein ästhetischen Aspekt hinaus und Titannitrid (TiN) sowie andere innovative PVD-Beschichtungen werden zunehmend verwendet, um die Verschleissfestigkeit zu verbessern, den Fressverschleiss von Gleitkomponenten zu reduzieren, die Schmierfähigkeit zu erhöhen und sogar scharfe Kanten an Scheren, Messern und Knochensägen widerstandsfähiger zu machen.
 
Das Funktionalisieren von Oberflächen medizinischer Instrumente durch antimikrobielle, verschleissresistente Beschichtungen ist mittlerweile eine unverzichtbare Komponente in der modernen Medizintechnik. (Bild: Oerlikon Balzers, 2019)
 

 

Optionale Beschichtungsverfahren und ihre Schwächen
Eine Möglichkeit der Hersteller, den funktionalen Wert von medizinischen Instrumenten zu steigern, wäre der Einsatz von Polytetrafluoräthylen (PTFE) in für medizinische Zwecke geeigneter Form. Obwohl diese Beschichtungsart für ihren niedrigen Reibungskoeffizienten bekannt ist, wird sie für Anwendungen mit hoher Belastung nicht empfohlen, da sie verhältnismässig weich ist und sich bei hohen Belastungen abnutzt oder eine starke Tendenz zu Mikrobrüchen aufweist.
Eine weitere Alternative ist das Eloxieren, ein elektrolytischer Prozess, bei dem durch Umwandlung der obersten Metallschicht ein Hydroxid beziehungsweise Oxid gebildet wird. Ein wesentlicher Nachteil ist jedoch, dass Edelstahl nicht effektiv eloxiert werden kann, ohne dass die Verschleissfestigkeit verloren geht. Zudem kann bei diesem Verfahren eine Rostschicht auf dem Edelstahl entstehen, die ihn korrodieren lässt. Aus diesem Grund wird das Eloxieren typischerweise nur bei Aluminium oder Titan eingesetzt. Die Zahl der Medizinprodukte, für die diese Art der Beschichtung in Frage kommt, ist daher begrenzt.
 
Neben den antimikrobiellen und verschleissfesten Eigenschaften erleichtern medizinische Instrumente mit blendefreier Beschichtung Chirurgen im hell ausgeleuchteten Operationssaal das Operieren. (Bild: OC Oerlikon AG, 2019)
 
 

Physikalische Gasphasenabscheidung (PVD) als ideale Alternative
Um diese Herausforderungen zu meistern, setzen die Hersteller von Medizinprodukten zunehmend auf die physikalische Gasphasenabscheidung (Physical Vapour Deposition), ein Verfahren, mit dem extrem harte und dünne Schichten auf Edelstahl, Titan, Keramik und anderen modernen Materialien erzeugt werden können. Diese PVD-Beschichtungen bieten wichtige funktionale Vorteile, wie beispielsweise blendfreie Oberflächen im gut ausgeleuchteten Operationssaal, antimikrobielle Eigenschaften und eine Vorbeugung von Verunreinigungen des Blutes und des Körpergewebes. In manchen Fällen lassen sich die Instrumente sogar mehrmals einsetzen, zum Beispiel laparoskopische Instrumente, weil sie autoklavierbar sind.
Im Januar dieses Jahres hat Oerlikon Balzers, führende Anbieterin von PVD-Oberflächenlösungen, ihr neues Schichtportfolio «BALIMED» vorgestellt, das speziell für medizinische Instrumente und Komponenten entwickelt wurde. Die sieben neu entwickelten PVD-Schichten entsprechen den aktuellen strengen Qualitätsanforderungen für medizintechnische Instrumente und tragen durch ihre biokompatiblen, antimikrobiellen und chemisch inerten Eigenschaften zu besseren Behandlungsergebnissen bei. Die neuen Schichten vereinen eine einzigartige Kombination aus extrem harter Oberfläche, hoher Verschleissfestigkeit, niedrigem Reibungskoeffizienten und Korrosionsschutz. Darüber hinaus sind sie sehr dünn, in der Regel gerade einmal 1 bis 4 µm. Diese Eigenschaften in Verbindung mit engen Toleranzen bedeutet, dass die Komponenten nach dem Beschichten und ohne weitere Bearbeitung in Bezug auf Form, Passung und Abmessungen extrem stabil sind.
Auch 20 Jahre nach der Einführung in die Medizintechnikindustrie sind titanhaltige PVD-Schichten unübertroffen hart (rund 2500 bis 3000 Vickers) und verschleissfest. Ungeachtet der funktionalen Eigenschaften diente das Beschichten der ersten medizinischen Instrumente allerdings nur als dekoratives, hochwertiges Finish. Heute verlangt die Medizinindustrie neben der kompromisslosen Qualität jedoch auch das Einhalten der Vorschriften zur Biokompatibilität. Bei vielen Operationen ist es zudem wichtig, dass Blut und Gewebe nicht an chirurgischen Instrumenten und Bohrern (Knochensägen und -bohrer, Reibahlen, Scheren usw.) haften bleiben. Die neue goldfarbene Titannitrid-Schicht «BALIMED A» erfüllt diese Voraussetzung für zahlreiche chirurgische Instrumente.
 
Repositionszangen und Knochenstanzen mit verschleissbeständigen Schneiden können blendfrei mit «BALIMED DLC» beschichtet werden. (Bild: Oerlikon Balzers, 2019)
 

 
«Ursprünglich suchte die Industrie nach Möglichkeiten, ihre Instrumente optisch ansprechend zu gestalten und sie äusserlich leichter unterscheidbar zu machen. Dafür bot Titannitrid eine gute Lösung. Bis heute ist es die in der Medizintechnik am häufigsten eingesetzte PVD-Beschichtung», erklärt Canet Acikgoz, Market Segment Managerin für medizintechnische Instrumente bei Oerlikon Balzers, und ergänzt: «Chirurgische Instrumente können jetzt mit BALIMED A zur besseren Unterscheidung sogar farbcodiert werden. Die Schicht ist chemisch sehr stabil und autoklavierbar.» Sie fügt noch hinzu, dass die orthopädische Industrie das erste medizinische Segment war, das die funktionale Überlegenheit von PVD-Beschichtungen für chirurgische Instrumente im Bereich der Implantattechnik erkannt hat, darunter unter anderem für Fräser, Bohrer, Gewindebohrer und Räumnadeln.
«Neben Titannitrid haben sich weitere PVD-Beschichtungen wie zum Beispiel diamantähnlicher Kohlenstoff (DLC – Diamond-Like Carbon) durchgesetzt. DLC-Beschichtungen wie BALIMED DLC bieten eine ähnliche Kombination aus niedrigem Reibungskoeffizienten wie PTFE, allerdings mit der Härte von Keramik», erklärt Canet Acikgoz. «Die Beschichtung hat gute funktionale Eigenschaften. So ist sie beispielsweise sehr verschleissfest, schmierfähig, korrosionsbeständig und wirkt vor allem nichthaftend und vorbeugend gegen Verunreinigungen. Sie ist chemisch inert, was bedeutet, dass sie keine chemischen Reaktionen mit anderen Substanzen eingeht.» Die DLC-Beschichtung ist so hart, dass sie die Schärfe der Schneiden chirurgischer Instrumente länger behält. Dank der saubereren Schnitte können zudem chirurgisch gesetzte Wunden schneller heilen, und damit die Genesungszeit der Patienten verkürzt werden.
 
Zahnmedizin: Auch bei Schraubenimplantaten helfen Beschichtungen, die Justierbarkeit der Schrauben zu verbessern und das Drehmoment beim Einsetzen zu verringern. (Bild: iStock)
 

 
Neben dem niedrigen Reibungskoeffizienten und der Verschleissfestigkeit minimieren PVD-Beschichtungen den Schmierbedarf und funktionieren auch im Trockenlauf. Damit sind sie besonders geeignet für pneumatische Komponenten, zum Beispiel in Dentalinstrumenten, oder in elektrisch betriebenen Instrumenten wie chirurgische Knochensägen.
Die kohlenstoffbasierten Schichten «BALIMED DLC» und «BALIMED C» mit formbarem Wolframcarbid-Kohlenstoff (WC/C), sind matt schwarz beziehungsweise matt dunkelgrau und damit blendfrei. Dies ist ein wichtiger Aspekt, um Chirurgen im hell ausgeleuchteten Operationssaal das Operieren zu erleichtern. Durch den niedrigen Reibungskoeffizienten und die guten Gleiteigenschaften eignet sich die «BALIMED C»-Schicht auch, um Reibungen in Getrieben und Lagern, zum Beispiel in Zahnbohrern, zu reduzieren. Die Beschichtung erfordert nur eine geringe oder gar keine Schmierung. Auch die sehr temperaturbeständige Schicht «BALIMED CNI» verlängert die Lebensdauer von medizintechnischen Geräten, indem sie das Scheuern beweglicher Teile in den Geräten verhindert, weil dies zu Kaltverschweissungen führen kann.
Speziell für chirurgische Instrumente aus Edelstahl hat Oerlikon Balzers «BALIMED ALTINA» entwickelt, eine Schicht aus Aluminium-Titannitrid (AlTiN). Dies ist von besonderer Bedeutung, da nur wenige Oberflächenverfahren auf Edelstahl anwendbar sind, ohne dass es zu Einbussen bei den gewünschten funktionalen Eigenschaften kommt. Diese Schicht wird deshalb für Wundspreizer, Zangen unterschiedlichster Art, Pinzetten und Küretten bevorzugt. Sonst bietet sie nahezu die gleichen Eigenschaften wie die Schichten «BALIMED C» und «BALIMED DLC».
 
Die neu entwickelten PVD-Schichten des «BALIMED»-Portfolios entsprechen den aktuellen strengen Qualitätsanforderungen für medizintechnische Instrumente und tragen durch ihre biokompatiblen, antimikrobiellen und chemisch inerten Eigenschaften zu besseren Behandlungsergebnissen bei. (Bild: Oerlikon Balzers, 2019)
 

Antimikrobielle Eigenschaften
Ein weiterer von den Geräteherstellern zu berücksichtigender Faktor ist die Frage, welche antimikrobiellen Eigenschaften die von ihnen gewählte Beschichtungslösung aufweist. Invasive chirurgische Instrumente umgehen die natürlichen Verteidigungslinien des Körpers. «Silberdotiertes Titannitrid ist besonders nützlich in der Traumatherapie mit vielen offenen Wunden», sagt Canet Acikgoz. «Wenn kurz- oder mittelfristig Materialien oder Geräte zur Genesung implantiert werden müssen, sind die Patienten prozentual gesehen verhältnismässig häufig von Infektionen an den Operationswunden betroffen.» Um Infektionen zu vermeiden, ist es deshalb entscheidend, dass die Oberflächen der Instrumente antimikrobiell sind. Die mit Silber dotierte Titannitrid-Schicht «BALIMED ARGENTA» (TiN-Ag) mit einer Schichtdicke von rund 2 µm wurde speziell dafür entwickelt. Sie gehört derzeit zu den wenigen Beschichtungen, die diesen antimikrobiellen Schutz bietet.
TiN-Ag weist eine hohe antimikrobielle Wirksamkeit mit einer Verringerung um drei log-Stufen bei SA (Staphylococcus aureus) und dem MRSA-Strang (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) auf. Die antimikrobielle Wirkung wurde durch die ASTM (American Society for Testing and Materials) und JIS (Japanese Industrial Standards) bestätigt. Darüber hinaus hat TiN-Ag beim Zytotoxizitätstest (ISO 10993-5) keine zytotoxische Wirkung gezeigt. Vor allem die TiN-Ag-Beschichtungen von Oerlikon Balzers sind speziell nach der MEM-Elutionsmethode über 72 h (nach USFDA 21 CFR Abschnitt 58) zertifiziert.
Unabhängig von den antimikrobiellen und biokompatiblen Eigenschaften einer Beschichtung bliebe diese jedoch letztlich wertlos, wenn sie sich nach der thermischen Behandlung im Rahmen eines Autoklavenzyklus von der Oberfläche des Bauteils ablösen würde. Deshalb wurde die TiN-Ag-Beschichtung von «BALIMED ARGENTA» so konzipiert, dass sie ohne Nachlassen der antimikrobiellen Wirkung mehrere Autoklavenzyklen übersteht (nachweisliche Verringerung um drei log-Stufen nach 50 Autoklavenzyklen). «Mit einer antimikrobiellen PVD-Beschichtung lässt sich die Produktqualität im Vergleich zu den Produkten von Mitbewerbern auf ein deutlich höheres Niveau heben», sagt Canet Acikgoz.
 
Die mit Silber dotierte Titannitrid-Schicht «BALIMED ARGENTA» (TiN-Ag) gehört derzeit zu den wenigen Beschichtungen, die nachweislich einen antimikrobiellen Schutz bei chirurgischen Eingriffen bietet. (Bild: Oerlikon Balzers, 2019)
 

 
Kundenspezifische Lösungen
Um sich im Markt besser positionieren zu können, fordern Hersteller medizinischer Instrumente immer häufiger individuelle Oberflächenbeschichtungen. Unternehmen wie Oerlikon Balzers verfügen über die F&E-Einrichtungen, um Beschichtungslösungen kunden- und auftragsspezifisch anzupassen. Neben Schichtdicke und -härte lassen sich Eigenschaften wie Struktur, Beständigkeit gegen Chemikalien und Temperatur sowie die Haftfestigkeit präzise steuern.
Gemäss Canet Acikgoz würden OEM gut daran tun, sich bereits in einer frühen Phase der Entwicklung neuer Produkte mit PVD-Beschichtungen zu befassen. Tatsächlich ziehen aber viele Hersteller PVD-Beschichtungslösungen erst dann in Betracht, wenn hoher Verschleiss, starke Reibungsverluste und andere Probleme sie dazu zwingen. «OEM kommen oft erst spät in der Entwurfsphase mit ihrem Problem zu uns und suchen nach einer Beschichtungslösung, wenn bestimmte Eigenschaften, wie zum Beispiel das Trägermaterial, bereits festgelegt sind», sagt Canet Acikgoz. «Wir würden uns wünschen, dass Kunden auch gleich die beabsichtigte Funktionalität ihrer Instrumente mitteilen, um das Potenzial dieser Technologie voll auszuschöpfen und die Wertigkeit dieser medizinischen Instrumente zu steigern.»
 
Mehr über Oerlikon Balzers
Oerlikon Balzers ist eine weltweit führende Anbieterin von Beschichtungen, die die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer von Präzisionsbauteilen sowie von Werkzeugen für die Metall- und Kunststoffverarbeitung wesentlich verbessern. Diese unter den Markennamen «BALINIT» und «BALIQ» entwickelten Beschichtungen sind extrem dünn, zeichnen sich durch eine hohe Härte aus und reduzieren Reibung und Verschleiss entscheidend. «BALITHERM» bietet ein breites Spektrum an Wärmebehandlungen, während «BALTONE» Beschichtungen umfasst, die mit ihren eleganten Farben perfekt für dekorative Anwendungen geeignet sind. Die speziell für medizinische Anwendungen entwickelten «BALIMED»-Dünnfilmschichten sind verschleissfest, biokompatibel, antimikrobiell und chemisch inert. Mit der Technologiemarke «BALIFOR» führte das Unternehmen individuelle Lösungen für den Automobilmarkt ein, und ePD steht für Lösungen für die Metallisierung von Kunststoffteilen im Chromlook.
Weltweit sind mehr als 1100 Beschichtungsanlagen bei Oerlikon Balzers und seinen Kunden im Einsatz. Die Entwicklung und die Montage der Anlagen sind im Fürstentum Liechtenstein, in Langenthal (CH) und in Bergisch Gladbach (D) ansässig. Das Unternehmen verfügt über ein dynamisch wachsendes Netz von über 100 Beschichtungszentren in 35 Ländern Europas, in Nord- und Südamerika sowie in Asien. Zusammen mit Oerlikon Metco und Oerlikon AM ist Oerlikon Balzers Teil des Surface Solutions Segmentes des Schweizer Oerlikon-Konzerns.
 
 
Konrad Saal

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